vom 09.05.2012
bis 31.01.2013

Im Zentrum der prachtvollen Ausstellung stehen Textilien von Volksgruppen aus dem Nordwesten Indiens. Sie stammen aus einer Privatsammlung und sind der diesjährige Höhepunkt des Museums zum 20-jährigen Bestehen.

Der Fokus liegt vor allem auf Textilien aus dem Unionsstaat Gujarat mit der Halbinsel Saurashtra, dem früheren Kathiawar, und deren kleinen Halbinsel Kachchh (von Hindi Kachhua = Schildkröte), aus Sind und Thar Parkar, einem Teil der großen indischen Wüste von Rajasthan.
Diese Landesteile, zum Teil karg und unwirtlich, beherbergen viele unterschiedliche nomadisierende oder seßhafte Volksstämme, deren Dasein vom täglichen Kampf ums Überleben gekennzeichnet ist. Paradoxerweise oder vielleicht gerade in folgerichtiger Konsequenz haben diese harten Bedingungen eine Blüte von farbenprächtigen und reich bestickten Textilien hervorgebracht, welche den Nomadenstämmen – neben Schmuck und Tätowierungen – als Zierde des Körpers dienen, bei seßhaften Stämmen auch als Dekoration der Lehmhütten. Sie imitierten sozusagen die ursprünglichen Zelte, da sie die Wände oft ganz bedeckten und auch in ihrer Form die Konstruktion nachahmten wie beim Torana oder Patchhitpati.
Durch das nahe Beieinander beeinflußten sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen natürlich gegenseitig in Bräuchen und Sitten, so auch in Form, Material und Gestaltung der Textilien, die dennoch fundamentale Unterschiede aufwiesen und dem Kenner Auskunft über Herkunft und Stand des Besitzers gaben, sehr oft auch über seine momentane Lebenssituation und den Gebrauch und Einsatz der Stücke. So durfte z. B. eine verheiratete Rabari-Frau nur schwarze Kleidung tragen – oft mit zauberhaften Ton-in-Ton Applikationen – die Bishnoi-Frau nur rotgrundige Kleidung mit schwarzer Musterung, der Bishnoi-Mann nur einen weißen Turban. Seide war lange Zeit nur den Höfen vorbehalten, wurde aber später, mit zunehmendem Wohlstand, auch von Kaufleuten, die den Hofstil imitierten, verwendet. Gestickt wurde meist mit Filofloss-Seide (heer) auf Baumwollgewebe.
Nicht fehlen durften dabei Aica-Spiegelstückchen, die bei den alten Stücken im Überfluss die Kleidungsstücke und Wandbehänge überziehen und auch in Lehmreliefs oder in der Hauswand eingearbeitet wurden. Je weniger Spiegelstückchen man findet, umso neuer ist das Teil. Sie dienten in erster Linie der Abwehr gegen den bösen Blick, ließen aber auch im Schein der Öllampen die Zelte zu wahren Spiegelpalästen werden.
Seßhafte Stämme hingegen verzierten ihre Wandbehänge eher mit Applikationen oder schwergewichtigeren Perlenstickereien, die sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Saurashtra stark durchsetzten, durch Importe venezianischer Glasperlen, die über afrikanische Häfen auf dem Seeweg zum Golf von Kachchh und Cambay gelangten und berufsmäßig erst von den Mochis (Schumacher, Lederverarbeiter), später von den Kathis verarbeitet wurden.